Dynamic Pricing: Skifahren an der Schmerzgrenze

Christian Sutter
Dienstag, 8. Januar 2019

Der Schweizer Wintersport ist ein umkämpftes Terrain. Die Investitionen für die Bahnen sind hoch, die Winter werden kürzer und es schmelzen nicht nur die Gletscher, sondern auch die skifahrende Bevölkerung. Nun ist auch noch der Preiskampf voll entbrannt. Zahlreiche Skigebiete in der Schweiz haben für die Skipässe ein «Dynamic Pricing» eingeführt, z.B. die Topmarken wie St.Moritz, Andermatt oder Zermatt. Der Preis wird von der Nachfrage abhängig gemacht, und wer früh voraus z.B. über die Plattform SnowDeal bucht, kommt zu günstigen Tageskarten. Das System ist offenbar erfolgreich, wie die Engadiner Post in ihrem Artikel festhält.
 
Es fragt sich nur für wen. Wer nicht voraus geplant hat, für den gibt es ein böses Erwachen. Eine Tageskarte kostete am 29. Dezember 2018 für St.Moritz-Corviglia sage und schreibe CHF 101.– (Vorjahr CHF 78.–). Dass damit für viele Gäste eine Schmerzgrenze überschritten wird, liegt auf der Hand. Aber auch sonst ist es sehr fraglich, wie förderlich und nachhaltig das neue System für den Wintertourismus in der Schweiz sein wird. Hier fünf Gründe, die gegen das System sprechen: 
 
Das Wetterrisiko wird auf den Kunden übertragen
Die Bahnbetreiber weisen in ihren langfädigen Argumentarien darauf hin, dass «Dynamic Pricing» ganz generell auf dem Vormarsch und von Kunden akzeptiert sei. Das stimmt, beim Fliegen kenn man solche Preismodelle schon länger. Auch die SBB führen schleichend dynamische Preise auf den Billetten ein. Aber der Vergleich hinkt beträchtlich. Denn beim Fliegen oder Bahnfahren trete ich meine Reise an, unabhängig vom Wetter. Aber wer will denn mit den Skiern auf den Berg, wenn es stürmt und schneit, und nur noch drei Lifte fahren? Die Bergbahnen lassen sich einfach ihren grössten Unsicherheitsfaktor, nämlich das Wetter, vom Kunden vorfinanzieren. 
 
Höhere Preise für die gleiche Leistung
In St.Moritz zahlt der spontane Tagesgast während der Hauptsaison plötzlich einen Aufschlag von 25% – ohne dafür einen Mehrwert zu bekommen. Es gibt keine einzige neue Piste oder Bahn, keine bequemeren Sessellifte – wo doch Schweizer Skigebiete gerade in dieser Hinsicht im Vergleich mit Österreich grossen Nachholbedarf hätten. Im Gegenteil: der sonnige und somit teure Spitzentag bedeutet auch Schlange stehen, überfüllte Pisten und Wartezeiten in den Beizen. Es widerspricht jeder Vernunft und Fairness, für die gleiche Leistung massiv mehr zu verlangen.
 
Spontanität wird bestraft
Die Zeiten, wo jede Familie sieben Tage pro Ferienwoche von früh bis spät auf den Brettern stand, sind vorbei. Der heutige Feriengast will wählen und gestaltet sein Progamm gerne spontan. Gerade in St.Moritz gibt es viele Gäste, für welche Skifahren nur eine von vielen Möglichkeiten ist, denn die Gegend lädt ein zu Langlauf, Schlitteln, Skitouren oder sogar Museumsbesuchen. Es scheint nicht logisch, dass der Gast über den Preis wieder zur Unflexiblität gezwungen wird. Die Einschränkung der Wahlfreiheit ist ein Anachronismus und widerspricht dem Konsumverhalten mündiger Touristen.
 
Der Wintertourismus braucht den Nachwuchs
Für die heranwachsende Generation ist Skifahren keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern Luxus. Oft machen die Jungen nur mit, solange die Eltern finanzieren. Und die günstigen Konkurrenzangebote lauern ja nicht nur in den umliegenden Alpenländern. Die Konkurrenz zu den Skiferien sind halt auch der Tauchurlaub im Roten Meer, oder der Citytrip nach Dubai. Wenn Wintersport für kommende Generationen ein Modell bleiben soll, dann muss er auch bezahlbar bleiben. Mit den neuen Preismodellen wird die Erosion beim Skipublikum nur beschleunigt, was die Zukunft des Wintertourismus in der Schweiz generell in Frage stellt. 
 
Der Imageschaden ist beträchtlich
Der Schweizer Tourismus hat in den letzten Jahren viel für ein gutes Image getan, aber leidet immer noch unter seinem Hochpreis-Image. Dies gilt insbesondere für internastionale Topmarken wie St.Moritz. Mit den neuen Preismodellen bestätigt man die Wahrnehmung vieler: dies ist eine Luxusdestination für das internationale Jet-Set – welches allerdings heute auch eine eher wankelmütige und nicht unbedingt treue Kundschaft darstellt. Der Backlash in der Presse war in den letzten Wochen gross. Marken wie St.Moritz werden darunter leiden, auch wenn die Bergbahnbetreiber kurzfristig finanziell profitieren mögen.
 
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Christian Sutter

Geschäftsleitung und Partner evoq communications AG